Seit 2015 gibt es Die Freigänger aus Frankfurt. Dabei wechselte die Besetzung öfter als bei Deep Purple. Was zunächst mit Biertrinken und ersten Versuchen im Songschreiben im Reihenhauskeller begann setzte sich mit dem Umzug in den großzügigen Proberaum im Heddernheimer Probebunker und gelegentlichen Wohnzimmerkonzerten fort … bis im Frühjahr 2022 das Telefon klingelte.
Nachdem die „Rock’n’Roll Butterfahrt“, das kleinste größte Punkfestival der Welt auf Helgoland, wieder einmal coronabedingt abgesagt werden musste, planten einige Helgoländer eine Ersatzveranstaltung für alle dennoch anreisenden Butterfahrer, die ihre Unterkunft schon gebucht hatten. Die Kölner Alt-Punker „Heiter bis Wolkig“ hatte man schon gewinnen können. Die Freigänger sollten der zweite Akt sein. Punkrock in der Kurmuschel? Was kann da schon schief gehen… Die Band hatte ihr erstes wirklich großes Konzert.
Natürlich stieg den Ü-50 Punkern dieser Erfolg sofort zu Kopf, und das mittlerweile wieder einmal neu formierte Trio beschloss: Eine LP muss her!
Doch Anfang 2023 verstarb überraschend Gitarrist und Gründungsmitglied Werner Schirrmeister. Die Frage war, wie es mit der Band überhaupt weitergehen sollte. Doch bald war klar: Jetzt erst recht; dann eben als Duo. Der verrückte Traum die Songs, die Werner ja maßgeblich mit erschaffen hatte, auf Vinyl zu pressen wurde zur Verpflichtung.
Und jetzt, zwei Jahre später, ist es so weit. Das erste Freigänger-Album hat das Presswerk verlassen.
Vinyl
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Gleich mit dem ersten Song ihres Albums treten Die Freigänger musikalisch die Tür ein. Das Motto wird mit dem Titelsong des Albums der mittfünfziger Punk-Rocker an die Wand genagelt:
Sie sind immer wieder auf die Straße gegangen gegen Ausgrenzung und gegen Nazis, für die Umwelt, für Gleichberechtigung, haben sich Jahrzehnte den Mund fusselig geredet, auf „Sozialen“ Netzwerken, in Kneipen, auf der Straße, in Ortsvereinen… und trotzdem scheint es so, als wäre alles beim Alten: Das Klima kollabiert, Nazis im Bundestag, SUVs in der Innenstadt. Man hat einfach auf bestimmte Sachen keinen Bock mehr.
Die Lieder handeln von Polizeigewalt, NSU 2.0 ( „einzelfall“), Terrorpanik auf Kosten von Minderheiten „im Namen Gottes, Allahs oder Karls“ („der jihad-dog vom hauptbahnhof“) oder die „Verrohung der Gesellschaft“ durch „Soziale“ Medien („smartphonecover“).
Doch die Freigänger bleiben bei ihren politischen Songs nie bei der Kritik und beim Lamentieren stehen. Die Texte der Band bieten immer eine Lösung an. Und meist lässt diese sich wie folgt auf den Punkt bringen:
„sei kein Arschloch!“ … und seid frei.
„Frei von Hass, frei von Neid“ („freigängerprinzip“ ) und frei das zu tun, was Spaß macht…. auch musikalisch. Die Freigänger kümmern sich nicht um Regeln. Trotz treibender Rhythmen und einprägsamer Riffs kommen Songs oft ohne Refrain aus. Wo andere nach dem Solo langsam dem Ende entgegenplätschern, kommt hier oft noch ein wichtiger Twist oder ein ganz neues Kapitel, wie in der düsteren Gangster-Ballade „der alte fährmann vom edersee“ oder einfach eine unerwartete Pointe wie in „kathrin aus wolfsburg“.
Zuweilen laden die Songs auch zum Mit-Grölen ein. Doch das alles funktioniert völlig ohne „Oh,oh,oh!“ oder „Na,na,na!“. Die ausgeklügelten Texte von Holger sind immer präsent. Irgendwelche lautmalerischen Platzhalter sind überflüssig.
Und warum spielen Die Freigänger nicht in großen Hallen oder werden nicht bei Markus Lanz eingeladen: In einer Mischung aus Pink Floyd Parodie und ZZ-Top Sound der 90er geben sie die Antwort: Sie haben schlicht weg „keine zeit“.
Der vorletzte Song auf der Platte entstand aus persönlicher Erfahrung und beschäftigt sich mit dem Thema Demenz. Der Song ist anders, der brachiale Gitarrensound weicht einer zurückgenommenen Blues Gitarre, die zu einem fast schon monotonen Shuffle Beat spielt. Trotzdem übt der Song eine hypnotische Faszination aus, währen der Text den zunehmenden geistigen Verfall beschreibt. Hier gibt es keine kämpferischen Aufrufe, keine Lösungen, nur die immer wieder herausgeschriene Frage „warum?“
Natürlich ist das Album auch eine Hommage an die „Rock’n’Roll Butterfahrt“, dem Festival, mit dem die Band so eng verbunden ist (mindestens einmal spielen sie jedes Jahr im inoffiziellen Rahmenprogramm des Festivals). Daher haben es auch zwei „Insider“-Songs auf die Platte geschafft, die den einen oder anderen vielleicht erst einmal verwundert zurücklassen, echte Butterfahrer aber zum Mit-Grölen animieren. „wenn die butter fliegt“ erzählt von einem legendären Butterfahrt-Event, bei dem sich Vereinsmitglieder zum „Butter-Boßeln“ zusammenfanden und „witte kliff“ besingt das treue Fährschiff, das Besucher zwischen dem Helgoländer Felsen und der Düne hin und her schippert „bis dass der TÜV uns scheidet“. Das unvermeidliche Schlusslied auf jedem Freigänger-Konzert.
Nach 10 Jahren Bandgeschichte bietet „altersradikal“ einen kleinen Ausschnitt des gesamten Repertoires der Band auf Vinyl. Die Freigänger können locker 1 ½ bis 2 Stunden Bühnenprogramm auf die Beine stellen; und natürlich ist es auch ein Vermächtnis. So ist in einigen Tracks wie z.B. „altersradikal“ auch noch Werners Gitarre aus Aufnahmen und Probesession zu hören, soweit diese restauriert werden konnten und vor allem bei „der alte fährmann vom edersee“ wurde eine Aufnahme mit Werner an der Orgel und der Gitarre komplett re-mastert. Insofern ist das Album schon jetzt für die Freigänger ein voller Erfolg. Genau darum ging es. Wenn jetzt noch jemand ein paar der auf 200 Stück limitierten LPs kauft, wäre das die Kirsche auf der Sahne – insbesondere, weil die Kisten gerade blöd im Büro rumstehen. Für sehr viel mehr haben die beiden eh „keine zeit“.